Verschiedenes  |  21.04.2023

Welchen Beitrag kann das Patentrecht zur Bekämpfung der Klimakrise leisten?

Um die Herausforderungen zu bewältigen, vor die die Klimakrise uns stellt, werden dringend neue nachhaltige Technologien benötigt. Unterschiedliche Gründe können jedoch zu Marktversagen führen, was unter Umständen Investitionen in solche Innovationen hemmt.

Foto: Leopictures/Pixabay

Reto M. Hilty und Pedro Henrique D. Batista werfen in ihrem aktuellen Artikel die Frage auf, welche Rolle das Patentrecht spielt, um die verschiedenen Arten von Marktversagen zu korrigieren. Konkret untersuchen die Autoren, inwieweit Anpassungen des Patentrechts möglich und sinnvoll sind, zeigen aber auch, wann das Patentrecht seine Wirkungen verfehlt. Zudem analysieren sie mögliche Effekte sonstiger regulatorischer Interventionen, insbesondere ob technologische Vorgaben möglichem Marktversagen entgegenwirkt oder ob damit das Risiko von Staatsversagen einhergeht.


Reto M. Hilty, Pedro Henrique D. Batista
Potential and Limits of Patent Law to Address Climate Change
Max Planck Institute for Innovation & Competition Research Paper No. 23-10

Logic Mill-Logo
Verschiedenes  |  31.01.2023

Logic Mill – ein Navigationssystem für Wissen

Eine ständig wachsende Zahl von Patenten, wissen­schaft­li­chen Publi­kationen und anderen Textcorpora wird für viele Forschende zunehmend zur Belastung. Gleichzeitig eröffnen sich aber auch neue wis­sen­schaft­li­che Analysemöglichkeiten. Das skalierbare, quelloffene Software-System Logic Mill wendet maschi­nelles Lernen auf sehr große Doku­­men­ten­sätze an und ermöglicht Forschenden, ähnliche Texte in ver­schie­den­sten Be­rei­chen schnell zu identifizieren. Hiermit ergeben sich neue Perspektiven etwa für Re­cher­chen zum Stand der Technik bei der Patentprüfung, zur Beurteilung der Neuheit von Patenten und Ver­öffent­li­chun­gen sowie der Wahr­schein­lich­keit von Patentstreitigkeiten. 

Logic Mill-Logo
Logic Mill-Logo – inspiriert von Gottfried Wilhelm Leibnitz’ Sprossenrad aus der Skizze einer Rechenmaschine.
Darstellung der Implementierung von Logic Mill
Darstellung der Implementierung von Logic Mill

Forschende sehen sich mit einer immer größeren Menge an relevanten Dokumenten aus den unterschiedlichsten Bereichen konfrontiert. Damit besteht ein wachsender Bedarf an Werkzeugen, die es Forschenden ermöglichen, verwandte Texte in ver­schie­de­nen Bereichen schnell zu identifizieren. Bestehende Lösungen erlauben keine Verknüpfung von Dokumenten aus Textkorpora, die verschiedenen Domänen entstammen. Sie sind zudem nicht skalierbar oder verwenden Algorithmen, die nicht quelloffen und allgemein zugänglich sind.


Logic Mill – ein neues Software-System und Forschungstool


Logic Mill ist ein neues Software-System und Forschungstool, das von einer Forschungsgruppe der wirtschaftswissenschaftlichen Abteilung unter Leitung von Dietmar Harhoff entwickelt wurde, um Dokumente zu identifizieren, die einem bestimmten Text in anderen Textkorpora ähnlich sind. Es besteht aus einer Reihe von quelloffenen Software-Komponenten und besitzt eine öffentliche Schnittstelle für die Anwendungsprogrammierung (API), die von der wissenschaftlichen Gemeinschaft genutzt werden kann.


Die Lösung


Die Logic Mill-Software analysiert große Teile von Texten, die ja nicht nur aus Wörtern, sondern auch Struktur und Kontext bestehen, mit Hilfe modernster maschineller Lernverfahren. Im Gegensatz zu früheren Versuchen, die Ähnlichkeit von Texten zu schätzen, berücksichtigt Logic Mill die semantische Struktur als zusätzliche Dimension der Ähnlichkeit. Logic Mill sucht nicht nur nach dem Vorkommen gleicher Wörter, sondern auch danach, in welchem Kontext (d.h. relativ zum Satz und Absatz) diese vorkommen. Spezielle Modelle für maschinelles Lernen kodieren den Text numerisch und lassen so die Berechnung verschiedener Ähnlichkeitsmaße zu.


Bisherige Versuche, Textdokumente zu vergleichen, beschränkten sich meist auf Texte der gleichen Kategorie, z.B. Patente mit Patenten oder Publikationen mit Publikationen. Nun kann man Dokumente aus verschiedenen Domänen untereinander und miteinander vergleichen.


Bisher arbeitet Logic Mill mit Datensätzen von Semantic Scholar, EPO, USTPO und WIPO. Eine Einbindung von Wikipedia ist in Vorbereitung.


Die Anwendungsmöglichkeiten


Logic Mill ermöglicht schnell umfangreiche Literaturrecherchen. Es erlaubt, semantisch ähnliche Patentdokumente zu finden, was wichtig für Recherchen zum Stand der Technik bei der Patentprüfung oder für die Abschätzung der Wahrscheinlichkeit von Patentstreitigkeiten ist. Zudem kann eine Verbindung von Patenten zu entsprechenden wissenschaftlichen Publikationen hergestellt werden. Logic Mill kann sowohl Referenzen für neue Dokumente als auch gerade neu veröffentlichte Publikationen empfehlen. Es erlaubt zudem, die Neuheit von Patenten und Publikationen zu bewerten. Darüber hinaus können Wissensströme über verschiedene Bereiche hinweg verfolgt und neue Trends und die Verbreitung neuer Konzepte aufgespürt werden.


Der Name des Projekts Logic Mill ist durch die Romane des “Barock Cycle” des britischen Schriftstellers Neal Stephenson inspiriert. Darin entwirft der deutsche Universalgelehrte Gottfried Wilhelm Leibniz eine Maschine, die das gesamte menschliche Wissen auf der Grundlage eines Abrufsystems organisiert, das auf Primzahlen basiert. Diese Maschine ist zwar fiktiv, aber Leibniz’ Gedanken klingen in der modernen Informatik nach, insbesondere im Hinblick auf das Problem der numerischen Darstellung jeglicher Art von Daten.


Weitere Informationen:


Wenn Sie über die Fortschritte bei Logic Mill informiert werden möchten oder am Testprogramm teilnehmen möchten, können Sie sich auf der Logic Mill-Website registrieren.


Direkt zur Publikation Logic Mill – A Knowledge Navigation System.

Data Sharing for Good Health & Well-Being: India's Way Forward to Achieving Sustainable Development Goal 3
Verschiedenes  |  28.10.2022

Nachhaltige Entwicklungsziele durch gemeinsame Datennutzung erreichen

“Regulation of the Data Economy in Emerging Economies” lautet der Titel eines internationalen Projekts, in dem sich Forschende des Instituts damit befassen, wie regulatorische Mecha­nismen im Bereich der Daten­wirtschaft gestaltet werden müssen, um eine nachhaltige Wirtschafts­entwicklung in Schwellen­ländern zu fördern. Der zweite Workshop dieses Projekts mit Schwer­punkt auf gesund­heitlichen Themen fand am 8. und 9. September in Bengaluru, Indien, statt.

Data Sharing for Good Health & Well-Being: India's Way Forward to Achieving Sustainable Development Goal 3
Teilnehmende des Workshops in Bengaluru, Indien

Zu dem sich schnell entwickelnden politischen Rahmen in der EU für die Regulierung der digitalen Wirtschaft hat das Institut bereits einen wichtigen Beitrag geleistet. Vor kurzem wurde eine eingehende Analyse der Bestimmungen des vorgeschlagenen Datengesetzes (Data Act) als  Stellungnahme veröffentlicht.Da die Fragen im Zusammenhang mit der digitalen Wirtschaft jedoch globaler Natur sind, befassen sich Forschende des Instituts auch mit den Entwicklungen außerhalb der EU. Vor diesem Hintergrund arbeitet ein Team unter der Leitung von Prof. Dr. Josef Drexl an einem Projekt mit dem Titel Regulation of the Data Economy in Emerging Economies. Das Projekt konzentriert sich auf die Untersuchung von Ansätzen in Schwellenländern, wie Nutzung von Daten dazu beitragen kann, eine nachhaltige Entwicklung zu erreichen und wird in Zusammenarbeit mit internationalen Partnern aus Brasilien, Indien und dem Senegal entwickelt. Diese Partner sind die Mackenzie University, São Paulo, die National Law School of India University, Bengaluru, die BML Munjal University, Haryana und die Université Virtuelle du Senegal, Dakar.


Um den Stand der Dinge in den einzelnen Ländern in Bezug auf die gemeinsame Nutzung von Daten im Zusammenhang mit den  Sustainable Development Goals der UN (SDGs), zu ermitteln, werden zunächst die aktuellen Initiativen privater und öffentlicher Einrichtungen, der bestehende Rechtsrahmen und die politische Debatte über die gemeinsame Nutzung von Daten untersucht. Dementsprechend wurden in jedem Land Vor-Ort-Workshops geplant, um die Forschung in den Kontext der sozioökonomischen Realität dieser Schwellenländer zu stellen. Der erste Workshop dieser Reihe trug den Titel „Workshop on Data Sharing and Sustainable Development in Emerging Economies – Senegal“ und fand am 16. und 17. März 2022 in Dakar statt. Der Schwerpunkt lag auf Landwirtschaft und finanzieller Eingliederung. Es folgte ein Workshop in Bengaluru am 8. und 9. September mit dem Titel “Data Sharing for Good Health & Well-Being: India’s Way Forward to Achieving Sustainable Development Goal 3”.


Der kürzlich abgeschlossene Workshop in Bengaluru brachte ein breites Spektrum von Interessenvertretern in Indien zusammen, von Pioniervertretern der Industrie im Gesundheitssektor (NIRAMAI Health Analytix, Saathealth, DRiefcase, Ambee), Industrieverbänden wie NASSCOM, privaten Initiativen wie Swasth Alliance und iSPIRT, öffentlichen Institutionen wie NITI Aayog, unabhängigen Forschern und Forschungseinrichtungen im Gesundheitsbereich, Mitgliedern der Zivilgesellschaft sowie Akademiker*innen aus den Bereichen Politik- und Rechtswissenschaften.


Eine der wichtigsten Erkenntnisse aus dem Workshop in Bengaluru war, dass es in verschiedenen Bereichen enorme Innovationen bei der Nutzung von persönlichen und nicht-persönlichen Daten gibt, um das SDG Nr. 3 zu erreichen. Es wurde auch festgestellt, dass Indien von seiner Erfahrung beim Aufbau einer digitalen öffentlichen Infrastruktur profitiert, die auf die Entwicklung seiner Unified Payment Interface im Jahr 2016 zurückgeht. Dies unterscheidet sich von dem Ansatz im Senegal, wo das infrastrukturelle Rückgrat für den Datenaustausch noch fehlt. Während die Einführung dieser Initiativen im Gesundheitssektor in Indien ermutigend ist, scheint ein Rechtsrahmen für diese weitgehend technologische Lösung für den Datenaustausch im Gesundheitswesen zu fehlen. In diesem Zusammenhang wurde auch thematisiert, dass eine umfassenden Datenschutzregelung in Indien bisher nicht vorhanden ist.

In den kommenden Monaten werden von jedem Workshop länderspezifische Berichte erwartet. Diese wissenschaftlichen Berichte werden die Vielfalt der Ansätze in diesen Schwellenländern analysieren und in die Formulierung allgemein anwendbarer Empfehlungen einfließen. Diese Empfehlungen können dann genutzt werden, um spezifische Strategien für den Datenaustausch zu entwickeln und die Erreichung der SDGs zu unterstützen.


Der nächste Workshop findet am 15. und 16. Dezember 2022 in São Paulo an der Mackenzie-Universität statt und wird sich mit dem Thema Klimaschutz (SDG Nr. 13) befassen: Data Sharing & Climate Action in Brazil

Verschiedenes  |  04.05.2022

EPA-Förderung für Deep Learning-Projekt zu Wissensflüssen zwischen Wissenschaft und Technologie

Im Rahmen des Academic Research Programme des Europäischen Patentamtes hat ein Forschungsteam der Abteilung Innovation and Entrepreneurship Research für ein Projekt, in dem mittels Deep Learning Wissensflüsse zwischen Wissenschaft und Technologie untersucht werden sollen, eine erhebliche Fördersumme erhalten.

Das Europäische Patentamt (EPA) würdigt die Bedeutung qualitativ hochwertiger Forschung zu patentbezogenen Fragen des geistigen Eigentums als Informationsgrundlage für politische Entscheidungsträger sowie um fundierte Geschäftsentscheidungen in einem Kontext zu erleichtern, in dem immaterielle Vermögenswerte, Innovation und geistige Eigentumsrechte eine zentrale wirtschaftliche Rolle spielen. Mit dem 2017 gestarteten Akademischen Forschungsprogramm (EPA-ARP) will das EPA insbesondere die akademische Forschung im Bereich des geistigen Eigentums fördern und die Verbreitung von Forschungsergebnissen unterstützen.


Um eine effektive Forschungszusammenarbeit zu ermöglichen, fördert das EPA Kooperationsprojekte, bei denen wissenschaftliche Partnerinstitutionen zusammen an umfangreicheren Projekten mit größerem Budget und längerer Laufzeit arbeiten und potenziell verschiedene Abteilungen des EPA mitwirken können. Das aktuelle EPA-ARP umfasst zwei Schwerpunktbereiche: “The New Frontiers of Innovation” und “Digital Technologies for IP”. Von 36 Projektvorschlägen, die beim EPA eingereicht wurden, erhielten nur fünf einen Förder­bescheid. Geförderte erhalten bis zu 150.000 Euro für ihre Projekte.


Im Rahmen des ersten Förderschwerpunkts und des Forschungsbereichs “From University Research to Innovation Ecosystems” hat eine Forschungsgruppe um Dietmar Harhoff, mit Sebastian Erhardt, Michael E. Rose, Mainak Ghosh und Erik Buunk nun eine erhebliche Fördersumme für das Projekt “Tracing the Flow of Knowledge from Science to Technology Using Deep Learning” erhalten.


Das Team will die semantische Ähnlichkeit zwischen Patenten und wissenschaftlichen Veröffentlichungen mithilfe der neuesten Fortschritte im Bereich des maschinellen Lernens nutzbar zu machen. Die Lösung nutzt Transformer-Modelle, die semantisch ähnliche Dokumente identifizieren. Ein Patent, das einer früheren wissenschaftlichen Veröffentlichung sehr ähnlich ist, ist möglicherweise durch diese beeinflusst worden. Der Ansatz ist skalierbar und in der Lage, große Textmengen zu verarbeiten. Sobald die Dokumente semantisch miteinander verknüpft sind, werden die Daten verwendet, um Rückschlüsse auf die Verbreitung von Wissen aus der Wissenschaft in Veröffentlichungen sowie in Patente und unter Patenten zu ziehen.


Auf der Grundlage der durch diesen Ansatz gewonnenen Informationen wird das Team in der Lage sein, eine vollständige Wissenslandschaft anzulegen, um die Bedeutung von Grundlagenforschung für neue Technologien zu ermitteln.

Dr. Heiko Richter, LL.M. (Columbia)
Verschiedenes  |  25.03.2022

Digital Markets Act: Neue Spielregeln für Tech-Riesen

Am 24. März 2022 haben sich die Gremien der Europäischen Union auf den neuen Digital Markets Act vorläufig geeinigt. Damit will die EU die Marktmacht von Tech-Giganten wie Google, Apple, Facebook/Meta, Amazon oder Microsoft begrenzen und den Wettbewerb im europäischen Markt schützen. Im Interview erklärt Heiko Richter, wissenschaftlicher Referent am Institut, Ziele und mögliche Schwächen der neuen Verordnung.

Dr. Heiko Richter, LL.M. (Columbia)
Heiko Richter, Wissenschaftlicher Referent am Max-Planck-Institut für Innovation und Wettbewerb

Die Idee, die Macht digitaler Giganten einzuschränken, ist nicht neu. Regeln, die den Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung oder unlautere Geschäftspraktiken ahnden, gibt es bereits. Was soll sich ändern?


Der Digital Markets Act, kurz DMA gibt einen EU-weit einheitlichen Rechtsrahmen für digitale Märkte vor, um proaktiv Wettbewerbsverzerrungen zu verhindern und bestimmte Geschäftspraktiken zu unterbinden. Ziel ist es auch, die Rechtsanwendung zu erleichtern und das Verfahren zu beschleunigen.


Wieso sind die bisherigen Regeln nicht ausreichend?


Bislang haben wir vor allem im Kartellrecht nur ex-post-Regeln: diese greifen erst, nachdem ein Verstoß vorliegt oder vermutet wird. Das hat zur Folge, dass es sehr lange dauert, bis es zu einer Sanktionierung des Verhaltens kommt. Zum Teil liegen die in Streit stehenden Handlungen bis zu zehn Jahre zurück und die Verfahren sind immer noch nicht abgeschlossen. Das Kartellrecht ist also im Ergebnis zu langsam, da es reaktiv greift.


Was soll sich ändern?

Die Grundidee des DMA als neue Verordnung ist die Regulierung vorab. Der DMA soll besonders großen Plattformdiensten Verhaltenspflichten auferlegen. Hierfür enthält er über ein Dutzend Ge- und Verbote, die mal mehr mal weniger konkret formuliert sind und von vornherein durch diese Dienste zu beachten sind. Andernfalls drohen empfindliche Sanktionen – so kann die Kommission den Plattformdiensten bei Verstößen Strafen in Höhe von bis zu 20 Prozent ihres weltweiten Jahresumsatzes auferlegen.


Zu den neuen Regeln kommen wir gleich. Aber erstmal: Für wen gilt die Verordnung?

Laut der ersten Pressemitteilung des Europäischen Rats soll ein Plattformdienst als „Gatekeeper“ gelten, wenn das Unternehmen, zu dem der Dienst gehört, mehr als 7,5 Milliarden Euro Jahresumsatz in der EU erwirtschaftet oder einen Marktwert von über 75 Milliarden Euro aufweist. Außerdem muss der Dienst über 45 Millionen Endnutzer pro Monat sowie 10.000 gewerbliche Nutzer in der EU pro Jahr zählen – und zwar in den vergangenen drei Jahren.


Dazu kommt, dass die Plattform einen oder mehrere zentrale Plattformdienste in mindestens drei EU-Mitgliedsstaaten anbieten muss. Zu solchen Diensten zählen etwa soziale Netzwerke, Suchmaschinen, Browser, Messenger-Dienste und virtuelle Assistenten. Nicht darunter fallen aber vernetzte TV-Geräte.


Welche Pflichten haben künftig Gatekeeper?


Besonders relevant im Pflichtenkatalog sind Verbote: etwa die Registrierung für einen Dienst an die Registrierung eines anderen zu koppeln oder gewerblichen Nutzern zu untersagen, ihre Produkte und Leistungen auf Plattformen Dritter zu anderen Preisen und Bedingungen anzubieten. Außerdem müssten Betriebssysteme wie Googles Android oder Apples iOS zulassen, dass auf Smartphones andere App-Stores als ihre eigenen installiert werden. Die Praktiken der Selbstbevorzugung werden explizit verboten, indem etwa eigene Dienste dem Verbraucher bevorzugt angeboten werden und dadurch der Markt für kleinere oder neue Wettbewerber verschlossen wird. Ebenso wird es künftig nicht mehr erlaubt sein, Daten für gewisse Zwecke zusammenzuführen und zu nutzen, wie es etwa Facebook vorgeworfen wird.


Besonders relevant für Verbraucher ist auch die neue Pflicht zur Interoperabilität. So müssen als Gatekeeper eingestufte Messaging-Dienste ihren Nutzern ermöglichen, zwischen verschiedenen Plattformen (z.B. Whatsapp und Threema) Nachrichten auszutauschen und Videoanrufe zu tätigen.


Klingt nach Lex Google, Lex Apple, Lex Facebook…


In der Tat stecken hinter vielen der einzelnen Pflichten Fälle, in denen die Kommission und die nationalen Wettbewerbsbehörden gegen diese Unternehmen vorgegangen sind. Einzelfallgesetze darf es nicht geben, aber es ist natürlich möglich, für eine Markttätigkeit in der EU abstrakte Kriterien zu definieren, um möglichst viele problematische Verhaltensweisen zu verhindern.



Sicherlich wird es am Anfang vor allem die US-amerikanischen Tech-Giganten mit ihren Services treffen: Apples und Googles Appstore, neben Googles Suchmaschine auch Microsofts Bing, Facebook und Whatsapp oder Amazon Marketplace. Auch der für B2B bedeutsame Bereich des Cloud-Computings etwa von Amazon, der den größten Anteil am Konzerngewinn ausmacht, wird betroffen sein. Unklar ist allerdings noch, inwiefern europäische Plattformdienste wie Booking oder Zalando unter die Regeln fallen werden.


Schafft die Verordnung, die digitalen Märkte offener und fairer zu machen?


Entscheidend ist, wie die Regeln der Verordnung konkret angewendet und durchgesetzt werden. So wird sich in Zukunft zeigen, ob das festgeschriebene Verfahren gut funktioniert – dazu gehört insbesondere auch der zwischen Kommission und Gatekeepern vorgesehene Dialog über die Regulierungsmaßnahmen. Eine andere offene Frage ist, ob die vorgesehene Zusammenarbeit zwischen den nationalen Behörden und der EU-Kommission effektiv abläuft. Mit Spannung abzuwarten bleibt auch, welche Rolle nationale Gerichte bei der Durchsetzung der Regeln des DMA letztlich spielen werden.


Der EU-Kommission soll eine bedeutsame Rolle zufallen. Welche?


Die EU-Kommission solle eine ganz zentrale Rolle bekommen – das war in den Mitgliedstaaten durchaus umstritten. Der DMA erlaubt es der Kommission, verschiedenste Maßnahmen gegenüber den Gatekeepern anzuordnen. Das können verhaltensbezogene Maßnahmen sein, dass also ein Unternehmen etwas Bestimmtes nicht mehr tun darf oder aber etwas tun muss, bis hin zu strukturellen Maßnahmen wie etwa die Abspaltung ganzer Geschäftsbereiche. Gleichzeitig soll sie über die Einhaltung der Anordnungen wachen. Das alles erfordert, dass die EU-Kommission zahlreiche zusätzliche Stellen mit spezifischer Fachkompetenz schafft. So übernimmt sie eine völlig neue Rolle als Regulierungsbehörde, und man darf gespannt sein, ob es ihr letztlich gelingt, den großen Tech-Unternehmen auf Augenhöhe Paroli zu bieten.



Wenn nun alles nach Plan läuft und das Europäische Parlament und der Rat offiziell zustimmen, tritt die neue Verordnung 2023 in Kraft. Lassen sich denn alle Neuerungen unmittelbar umsetzen?


Das wird sich zeigen. Problematisch ist, dass viele technischen Fragen, die rechtlich relevant sind, nicht gelöst, sondern nur verschoben werden. Das Fine-Tuning erfolgt über sogenannte delegierte Rechtsakte, die von der Kommission erst noch erlassen werden müssen. In der Praxis zeigt sich, dass das Jahre dauern kann. Ein Beispiel: Bislang war die Deutsche Bahn nicht verpflichtet, Echtzeit-Angaben ihrer Züge anderen Verkehrsinformationsdiensten wie etwa Google Maps zur Verfügung zu stellen. Die entsprechende EU-Richtlinie, die das regelt, ist zwar seit 2010 in Kraft, die rechtlichen Details kamen 2017 in einem delegierten Rechtsakt der Kommission. Erst 2021 erhielten die Regelungen Eingang in das deutsche Personenbeförderungsgesetz, nach wie vor ist unklar, inwiefern die Deutsche Bahn Echtzeit-Angaben zur Verfügung stellen muss.


Was braucht es noch?


Die Effektivität der Durchsetzung durch die öffentliche Hand, also hier durch die EU-Kommission, hängt immer auch von der politischen Stoßrichtung ab. Und da können sich die Prioritäten schnell ändern. Die derzeitige Kommission mit Margrethe Verstager als Digitalkommissarin hat den DMA ganz oben auf der Liste, daher gibt es die Regeln überraschend schnell. Es garantiert aber nicht, dass es im Falle einer neuen Kommission mit neuer Agenda mit entsprechender Verve weitergeht.



Das Interview führte Michaela Hutterer



Persönliche Webseite von Heiko Richter

Verschiedenes  |  30.08.2021

Macht im digitalen Raum: Verfassungsblog und Institut veranstalten Online-Symposium

Sind der Digital Services Act und der Digital Markets Act geeignete Instrumente, um private Macht im digitalen Raum zu regulieren? Dieser Frage geht ein Online-Symposium des Verfassungsblogs und des Instituts nach. Am 30. August startet die Veröffentlichung einer Serie von 15 Blogbeiträgen, die den wissenschaftlichen Diskurs zu dem Thema einem breiteren Publikum nahebringt.

Die Konzentration von privater Macht im digitalen Raum ist nicht länger tragbar – darüber besteht Einigkeit diesseits und jenseits des Atlantiks. Doch wie reguliert man Formen privater Macht wie Marktmacht oder die Macht über Meinungen? Obwohl es keinen transatlantischen Konsens darüber gibt, wie geeignete Lösungen aussehen könnten, ist ein klarer Trend zu regulatorischen Eingriffen erkennbar. Mit dem Digital Services Act (DSA) und dem Digital Markets Act (DMA) hat die Europäische Kommission im Dezember 2020 zwei Gesetzesvorschläge präsentiert, die in dieser Legislaturperiode die Orientierungspunkte in der europäischen Digitalpolitik bilden.
 

Anlässlich der Gesetzgebungsvorhaben veranstaltet das Institut gemeinsam mit dem Verfassungsblog ein Online-Symposium zum Thema “To Break Up or Regulate Big Tech? Avenues to Constrain Private Power in the DSA/DMA Package“. In 15 Blogbeiträgen diskutiert ein diverses Feld von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern unterschiedliche Facetten des Themas. Die Beiträge richten sich an ein breiteres Publikum und werden ab dem 30. August sukzessive auf der Website des Verfassungsblogs veröffentlicht.


Alle Blogbeiträge finden Sie hier.

Verschiedenes  |  22.02.2021

International Law Association verabschiedet “Kyoto Guidelines”

Eine Forschungsgruppe der International Law Association (ILA) hat unter Mitwirkung von Max-Planck-Forschern umfassende Guidelines für das Zusammenspiel von geistigem Eigentum und internationalem Privatrecht erarbeitet. Mit den “Kyoto Guidelines” liegt erstmals ein Modellgesetz vor, das von Fachleuten aus der ganzen Welt gemeinsam entwickelt wurde.

Die Forschungsgruppe, die die “Kyoto Guidelines” entwickelt hat, bei einem Treffen in Genf im Jahr 2015, Foto: ILA

Trotz zunehmender internationaler und europäischer Harmonisierung unterliegt die Ausgestaltung der IP-Schutzsysteme nach wie vor dem Recht einzelner Staaten. Das international anerkannte Territorialitätsprinzip beschränkt den Anwendungsbereich des Rechts grundsätzlich auf das Territorium des rechtsetzenden Staates. Dies gilt auch für Fälle, in denen es um Fragen des geistigen Eigentums geht.


Die zunehmende Verflechtung der Weltwirtschaft und die potentiell globale Wirkung, die selbst einfachste Handlungen durch das Internet entfalten können, stellen die bestehenden kollisionsrechtlichen Systeme bereits seit Längerem in Frage. Diese Situation hat insbesondere zu Beginn des Jahrtausends namhafte wissenschaftliche Initiativen hervorgebracht, die es sich zum Ziel setzten, angemessene Lösungskonzepte zu entwickeln und eine internationale Angleichung der Systeme zu erreichen. So wurden unter der Leitung des heutigen Max-Planck-Instituts für Innovation und Wettbewerb und des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Privatrecht die “CLIP Principles for Conflict of Laws in Intellectual Property” (2011) entwickelt, die weltweite Resonanz erfahren haben.


Obwohl all jene Projekte von Beginn an auf internationale Kollaboration setzten, blieben sie regionalen Denkansätzen verbunden (USA, Europa, Asien) und kamen zu unterschiedlichen Ergebnissen. Ein Unterschied lag etwa im Umgang mit der besonders kontroversen Frage der originären Rechtsinhaberschaft. Schließlich beinhaltet keines der Projekte umfassende Lösungsansätze für alle Fragen des geistigen Eigentums.


Internationale Forschungsgruppe entwickelt umfassende Guidelines


Um diese Lücken zu füllen, gründete die International Law Association im Jahr 2010 das “Committee on Intellectual Property and Private International Law”. Im Rahmen der Forschungsgruppe, der mit Josef Drexl auch der Geschäftsführende Direktor des Instituts angehört, entwickelten etwa 30 Expertinnen und Experten aus aller Welt die sogenannten Kyoto Guidelines. Das Regelwerk wurde bei der 79. Biennale der ILA im Dezember 2020 verabschiedet und umfasst 35 Mustervorschriften. Gegenstand der Guidelines sind neben Fragen des anwendbaren materiellen Rechts auch die internationale Zuständigkeit der Gerichte sowie die Rechtsdurchsetzung. Die Guidelines erfassen nicht nur klassische Immaterialgüterrechte wie das Urheber-, Patent- und Markenrecht, sondern erstrecken sich auch auf verwandte Bereiche, wie das Lauterkeitsrecht und den Schutz von Geschäftsgeheimnissen. Der finale Text ist in vier Abschnitte untergliedert: Allgemeine Bestimmungen (Guidelines 1-2), Gerichtsbarkeit (3-18), Anzuwendendes Recht (19-31) sowie Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen (32-35).


Ziel der Kyoto Guidelines ist es, nationalen Gesetzgebern konkrete Vorschläge zur Ausgestaltung ihres Kollisionsrechts in Fragen des geistigen Eigentums zu unterbreiten, um langfristig ein inhaltlich ausgewogenes und international abgestimmtes System zu erreichen. Die Guidelines können bereits jetzt von der Rechtsprechung als Interpretationshilfen herangezogen werden, wenn ihr nationales System hierfür offen ist. Neben bekannten und bereits vielfach diskutierten Fragen an der Schnittstelle von geistigem Eigentum und internationalem Privatrecht wie der Bestimmung der originären Rechtsinhaberschaft sowie einer parallelen Rechtsverletzung in einer Vielzahl von Staaten, greifen die Guidelines auch neue Phänomene, wie die grenzübergreifende kollektive Rechtewahrnehmung, auf.


Kollisionsrecht für Verwertungsgesellschaften


Obwohl die grenzübergreifende Tätigkeit von Verwertungsgesellschaften zunehmend an Bedeutung gewinnt, wurde die Frage nach einem Kollisionsrecht für Verwertungsgesellschaften bislang kaum diskutiert. Allein das Institut wies im Jahr 2015 im Zuge der Umsetzung der EU-Richtlinie über die kollektive Wahrnehmung von Urheber- und verwandten Schutzrechten (Richtlinie 2014/26/EU) auf ungelöste Probleme des internationalen Privatrechts hin und entwickelte damals Prinzipien, die nun Eingang in die Kyoto Guidelines fanden.


Die Kyoto Guidelines wurden Ende vergangenen Jahres von der ILA angenommen. Der 5. Ausschussbericht des Komitees enthält bereits grundlegende Erläuterungen zum besseren Verständnis der einzelnen Vorschläge, die frei zugänglich sind. Die Veröffentlichung der Guidelines mit einer ausführlichen Kommentierung in Buchform soll noch im laufenden Jahr erfolgen.


Den Originaltext der Kyoto Guidelines finden Sie hier.

“International Instrument on Permitted Uses in Copyright Law” hat eine Gruppe, koordiniert vom Max-Planck-Institut für Innovation und Wettbewerb ein Regelwerk für den Interessenausgleich im Urheberrecht entwickelt
Verschiedenes  |  18.12.2020

Erlaubte Nutzungen im Urheberrecht: Forschungsteam entwickelt “International Instrument”

Mit dem “International Instrument on Permitted Uses in Copyright Law” hat eine Gruppe renommierter Urheberrechtsexperten ein Regelwerk entwickelt, das den Interessenausgleich im Urheberrecht fördern soll. Koordiniert wurde das Projekt, das auf ein neues, internationales Urheberrechtsabkommen abzielt, vom Institut.

“International Instrument on Permitted Uses in Copyright Law” hat eine Gruppe, koordiniert vom Max-Planck-Institut für Innovation und Wettbewerb ein Regelwerk für den Interessenausgleich im Urheberrecht entwickelt
Die Arbeit am “International Instrument on Permitted Uses in Copyright Law” wurde vom Institut koordiniert

Mit dem Ziel, auf internationaler Ebene ein ausgewogeneres System hinsichtlich des Schutzumfangs des Urheberrechts zu schaffen, entwickelte eine vom Institut koordinierte wissenschaftliche Initiative das “International Instrument on Permitted Uses in Copyright Law”. Das Projekt, das 20 international anerkannte Spezialisten für Urheberrecht aus verschiedenen Ländern zusammenbrachte, wurde von einigen der Mitglieder einer Expertengruppe ins Leben gerufen, die bereits an der 2008 fertiggestellten “Declaration for a balanced Interpretation of the Three-Step Test in Copyright Law” gearbeitet hatte. Die Erklärung zeigt anhand von abstrakten Auslegungsrichtlinien auf, wie der Drei-Stufen-Test flexibel angewendet werden kann, um berechtigten Nutzerinteressen Rechnung zu tragen.


Das Instrument geht einen Schritt weiter als die Erklärung. Statt sich auf Empfehlungen zu beschränken, enthält es konkrete Bestimmungen für einen internationalen Vertrag, der einen Kern „minimal erlaubter Nutzungen“ (“minimum permitted uses”) von Werken festlegt. Durch die Unterzeichnung eines solchen Vertrages sollen sich zukünftige Vertragsparteien verpflichten, die minimal zu erlaubenden Nutzungen in ihr nationales Recht umzusetzen.


Mit diesem Ansatz, der minimal erlaubte Nutzungen in den Mittelpunkt stellt, möchte das Instrument ein Gegengewicht zum traditionellen „Mindestschutzansatz“ bilden, der im heutigen internationalen Urheberrecht üblich ist. Das Instrument soll den Vertragsparteien einen Hebel an die Hand geben, mit dem sie jenem politischen Druck begegnen können, dem sie in internationalen Verhandlungen, insbesondere von bilateralen und regionalen Abkommen, oft ausgesetzt sind. Wenn es einmal in Kraft getreten ist, könnte ein entsprechendes Instrument die Kooperation zwischen Staaten vereinfachen und sie dabei unterstützen, ihre gemeinsamen Interessen auf Augenhöhe gegenüber Staaten zu behaupten, die in internationalen Verhandlungen höhere Schutzstandards durchsetzen möchten. Das Instrument in nationales Recht umzusetzen, könnte zudem eine Harmonisierung in Bezug auf die Grenzen des Urheberrechtsschutzes fördern.


Das International Instrument besteht aus drei Teilen. In Teil A werden fünf Gruppen erlaubter Nutzungen beschrieben, die jeweils auf den Zielen der einzelnen Gruppen aufbauen: I. Meinungs- und Informationsfreiheit; II. Soziale, politische und kulturelle Ziele; III. Nutzung von Software; IV. Geringfügige Nutzungen und V. Freie Verbreitung. Teil B definiert allgemeine Grundsätze, die den Vertragsparteien als Leitfaden für die Umsetzung der erlaubten Nutzungen in ihren nationalen Rechtsordnungen dienen sollen. Vertragsparteien sind verpflichtet, die erlaubten Nutzungen, die das Instrument vorsieht, umzusetzen, können aber die Umsetzungsmethode frei wählen: sie können die erlaubten Nutzungen explizit aufzählen, Generalklauseln entwerfen oder sie auf “Fair Use”- oder “Fair Dealing”-Prinzipien aufbauen. Darüber hinaus steht es den Vertragsparteien frei, weitere Nutzungen urheberrechtlich geschützter Werke zu erlauben, wenn die nationalen Bedürfnisse eine entsprechende gesetzliche Regelung notwendig machen. In Teil C geht es um das Wettbewerbsrecht als externe Beschränkung des Urheberrechts; aufgebaut wird dabei auf dem zeitgemäßen Verständnis, dass Wettbewerbsrecht und Urheberrecht komplementäre Rechtsfelder sind, die beide das Ziel verfolgen, das Angebot kreativer Werke auf dem Markt zu erhöhen.

Den Originaltext des International Instrument finden Sie hier:
International Instrument on Permitted Uses in Copyright Law


Einen Artikel von Reto M. Hilty und Valentina Moscon zum International Instrument finden Sie im kürzlich erschienen Buch The Cambridge Handbook of Copyright Limitations and Exceptions.


Die aktuelle Ausgabe der IIC widmet sich in ihrem Editorial ebenfalls dem International Instrument.

Verschiedenes  |  23.10.2020

Evaluation des Münchner Verfahrens in Patentstreitsachen – Die Ergebnisse liegen vor

Das Landgericht München I ist eines von nur 12 für Patentsachen zuständigen deutschen Gerichten und neben Mannheim und Düsseldorf einer der drei besonders wichtigen Gerichtsstandorte. Wichtiger Faktor für den Patentstandort München ist seit zehn Jahren das Münchner Verfahren, das in einem Forschungsprojekt am Institut evaluiert wurde.

Justizpalast München. Foto: Justiz Bayern.

Mit Europäischem Patentamt (EPA), Bundespatentgericht (BPatG), Deutschem Patent- und Markenamt (DPMA), Einrichtungen des geplanten Europäischen Einheitlichen Patentgerichts (EPG), Patentanwaltskammer, zahlreichen Rechts- und Patentanwälten, Patentdienstleistern sowie vielen innovations- und patentstarken bayerischen Unternehmen gilt München als „Patenthauptstadt“ in Europa.


Das Landgericht München I ist eines von nur 12 deutschen Gerichten, die für Patentsachen, insbesondere Patentverletzungsfälle, zuständig sind. In der Regel hat der Kläger die Wahl, welches Gericht er anruft. Das Landgericht München I mit seinen zwei Patentstreitkammern gehört im Hinblick auf die Zahl der Verfahren mit Düsseldorf und Mannheim zu den drei wichtigsten Standorten für Patentstreitsachen in Deutschland. Ein wesentlicher Faktor für den Patentstandort München ist das Münchner Verfahren.


Das Verfahren


Das „Münchner Verfahren in Patentstreitsachen“ wurde im Jahr 2009 am Landgericht München I eingeführt. Es beruht auf einer Initiative aus der Anwaltschaft, die von den damaligen Vorsitzenden der Patentverletzungskammern am Landgericht München I aufgegriffen und umgesetzt wurde. Das Münchner Verfahren bietet eine Alternative zu den Verfahren vor anderen Patentgerichten und wird so nur von den hiesigen beiden Patentkammern praktiziert.


Das Verfahren sieht zwei Termine vor. Der frühe erste Termin soll der Abschichtung und der Möglichkeit dienen, mit einer vorläufigen ersten Einschätzung der Kammer gegebenenfalls Vergleichsgespräche zu führen. Hierfür bietet das Landgericht München I eine Patentmediation an, d.h. ein Güterichterverfahren vor einem in Patentsachen erfahrenen Richter. Außerdem ist das Münchner Verfahren durch ein strenges Fristenregime charakterisiert: Die Anzahl der Schriftsätze und Fristen werden im frühen ersten Termin abgesprochen und in der Regel auch eingehalten. Sachverständige hören die Patentverletzungskammern nur in seltenen, technisch besonders komplexen Fällen. Durch diese Maßnahmen können die Verfahren bei optimalem Verlauf trotz der häufig hohen technischen Komplexität in unter einem Jahr erstinstanzlich abgeschlossen werden.


Wissenschaftliche Evaluation durch Max-Planck-Forscher – Die Ergebnisse


Zehn Jahre nach seiner Einführung wurde das Verfahren nun evaluiert, um Hinweise für die zukünftige Gestaltung zu erhalten. Die wissenschaftliche Evaluation führte das Max-Planck-Institut für Innovation und Wettbewerb im Rahmen eines Forschungsprojektes durch. Für die Evaluation wurden Repräsentanten von Streitparteien mithilfe eines strukturierten Fragebogens befragt. Außerdem wurden systematisch Falldaten zur Länge und zum Ausgang von Streitverfahren erhoben. Die Ergebnisse wurden am Donnerstag, den 22. Oktober, im Justizpalast München in einer Online-Veranstaltung vorgestellt.


Insgesamt knapp 200 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus der Richter- und (Patent-)Anwaltschaft sowie Vertreterinnen und Vertreter von Fachpresse und Medien hatten die Gelegenheit, mit Dr. Thomas Ermer, Ministerialdirigent des Bayerischen Staatsministeriums der Justiz, der Präsidentin des Landgerichts Dr. Andrea Schmidt, sowie Prof. Dietmar Harhoff, Ph.D., Direktor am Max-Planck-Institut für Innovation und Wettbewerb, und Dr. Sabine Rojahn, Rechtsanwältin im Bereich Patentrecht aus München, über die Ergebnisse der Evaluation sowie Möglichkeiten zur Weiterentwicklung des Münchner Verfahrens zu diskutieren.


„Die Beteiligung an unserer Befragung war ausgesprochen gut. Die Befragten wissen zu würdigen, dass mit dieser Befragung Anregungen aus der Anwaltschaft für die Weiterentwicklung des Münchner Verfahrens gewonnen werden“, berichtet Dietmar Harhoff.


Die Gesamtschau der Antworten der Befragungsteilnehmer zum Münchner Verfahren in Patentstreitsachen zeigt, dass das Verfahren mit seinem frühen ersten Termin, also zwei echten, inhaltlichen Terminen in kurzem Zeitrahmen, als herausragender Vorteil des Standortes München gesehen wird. Fast 80 Prozent der Befragten vertreten die Auffassung, dass die Einführung des Münchner Verfahrens die Attraktivität Münchens als Standort für Patentstreitverfahren beträchtlich gesteigert hat.


Dietmar Harhoff betont: „Anwälte schätzen in Patentstreitsachen vor allem Vorhersehbarkeit und qualitativ gut begründete Entscheidungen. Entsprechend empfehlen sie für die Weiterentwicklung des Standorts München vor allem Kontinuität bei der Besetzung der Kammern und eine stärkere Spezialisierung der Richter auf Patentrecht. Entsprechende Maßnahmen könnten die Attraktivität des Standorts weiter erhöhen.“


Die Befragung zeigte auch Ansätze für eine Weiterentwicklung der sogenannten Hinweise zum Münchner Verfahren auf, welche die beiden Kammern für Patentrecht prüfen und ggf. mit einer Aktualisierung dieser Hinweise umsetzen wollen.


Staatsminister Georg Eisenreich erklärte: „Die Patentstreitkammern sind eine wichtige Säule des Patentstandorts München. Neben unseren vielen innovations- und patentstarken Unternehmen, dem Deutschen Patent- und Markenamt und dem Europäischen Patentamt sichern die Patentstreitkammern die Durchsetzung gewerblicher Schutzrechte. Die Evaluation hat das bestätigt.“


Ein ausführlicher Bericht zu den Evaluationsergebnissen wird bis Ende des Jahres vorgelegt.


Ergänzende Informationen:
Pressemitteilung des Landgerichts München I zu den Ergebnissen der Evalution (22.10.2020)
Pressemitteilung des Landgerichts München I zur Neugründung einer Kammer für Urheberrecht (01.10.2020)
Interview mit Dr. Andrea Schmidt, Präsidentin des Landgerichts München I, bei JUVE-Patent (in Englisch)

Verschiedenes  |  25.10.2019

10 Jahre Münchner Verfahren in Patentstreitsachen – Max-Planck-Forscher führen wissenschaftliche Evaluation durch

Das Landgericht München I ist eines von nur 12 deutschen Gerichten, die für Patentsachen zuständig sind. Wichtiger Faktor für den Patentstandort München ist seit nunmehr zehn Jahren das Münchner Verfahren, das jetzt in einem Forschungsprojekt am Institut evaluiert wird.

Justizpalast München. Foto: Justiz Bayern.

Mit Europäischem Patentamt (EPA), Bundespatentgericht (BPatG), Deutschem Patent- und Markenamt (DPMA), Einrichtungen des geplanten Europäischen Einheitlichen Patentgerichts (EPG), Patentanwaltskammer, zahlreichen Rechts- und Patentanwälten, Patentdienstleistern sowie vielen innovations- und patentstarken bayerischen Unternehmen gilt München als „Patenthauptstadt“ in Europa.


Das Landgericht München I ist eines von nur 12 deutschen Gerichten, die für Patentsachen, insbesondere Patentverletzungsfälle, zuständig sind. In der Regel hat der Kläger die Wahl, welches Gericht er anruft. Das Landgericht München I mit seinen zwei Patentstreitkammern gehört mit Düsseldorf und Mannheim zu den drei führenden Standorten für Patentstreitsachen in Deutschland. Wichtiger Faktor für den Patentstandort München ist das Münchner Verfahren.


Das Verfahren


Das „Münchner Verfahren in Patentstreitsachen“ wurde im Jahr 2009 am Landgericht München I eingeführt. Es beruht auf einer Initiative aus der Anwaltschaft, die von den damaligen Vorsitzenden der Patentverletzungskammern am Landgericht München I aufgegriffen und umgesetzt wurde. Das Münchner Verfahren bietet eine Alternative zu den Verfahren vor anderen Patentgerichten und wird so nur von den hiesigen beiden Patentkammern praktiziert.


Das Verfahren sieht zwei Termine vor. Der frühe erste Termin soll der Abschichtung und der Möglichkeit dienen, mit einer vorläufigen ersten Einschätzung der Kammer gegebenenfalls Vergleichsgespräche zu führen. Hierfür bietet das Landgericht München I eine Patentmediation an, d.h. ein Güterichterverfahren vor einem in Patentsachen erfahrenen Richter. Außerdem ist das Münchner Verfahren durch ein strenges Fristenregime charakterisiert: Die Anzahl der Schriftsätze und Fristen werden im frühen ersten Termin abgesprochen und in der Regel auch eingehalten. Sachverständige hören die Patentverletzungskammern nur in seltenen, technisch besonders komplexen Fällen. Durch diese Maßnahmen können die Verfahren bei optimalem Verlauf trotz der häufig hohen technischen Komplexität in unter einem Jahr erstinstanzlich abgeschlossen werden.


Wissenschaftliche Evaluation durch Max-Planck-Forscher


Zehn Jahre nach seiner Einführung soll das Verfahren nun evaluiert werden, um Hinweise für die zukünftige Gestaltung zu erhalten. Die wissenschaftliche Evaluation führt das Max-Planck-Institut für Innovation und Wettbewerb im Rahmen eines Forschungsprojektes durch.


Dietmar Harhoff, Direktor am Max-Planck-Institut für Innovation und Wettbewerb, der die wirtschaftswissenschaftliche Abteilung des Instituts leitet, erklärt: „In den nächsten Wochen werden für die Evaluation Repräsentanten von Streitparteien mithilfe eines strukturierten Fragebogens befragt. Außerdem werden systematisch Falldaten zur Länge und zum Ausgang von Streitverfahren erhoben. Im Frühjahr 2020 soll dann der Ergebnisbericht vorgelegt werden.“


Sobald die Ergebnisse vorliegen, berichten wir.