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Dissertation
Immaterialgüter- und Wettbewerbsrecht

Digitale Fairness

Die Arbeit untersucht Existenz und Tragweite eines das europäische Wettbewerbsrecht durchziehenden Rechtsprinzips der „Fairness“ mit besonderem Fokus auf seine Bedeutung für die Regulierung der Digitalwirtschaft, insbesondere „Künstlicher Intelligenz“, und seine Interaktion mit außerrechtlichen Normen, etwa unternehmerischen Verhaltenskodizes.

Last Update: 10.02.21

Ein Rechtsbegriff der „Fairness“ durchzieht in unterschiedlichen Nuancen das aus Lauterkeitsrecht, Immaterialgüterrecht, Kartellrecht und weiteren angrenzenden Gebieten bestehende „Wettbewerbs­recht im weiteren Sinne“. Seine Konturen indes sind unklar, was sowohl wissenschaftlich unbefriedigend als auch, insbesondere unter dem Gesichtspunkt mangelnder Rechtssicherheit, praktisch problematisch ist. Zugleich hat er als flexibler Auffangtatbestand das Potential, einen wertvollen Beitrag zum Regulierungsrahmen für die datengetriebene Wirtschaft zu leisten. Besonders bedeutsam erscheint seine Ausleuchtung im Hinblick auf die Interaktion mit nicht-staatlichen Normen, etwa unternehmerischen Verhaltenskodizes.

Die Dynamik der immer weiter vernetzten und in Entwicklungen „Künstlicher Intelligenz“ gipfelnden Digitalökonomie stellt herkömmliche staatliche Regulierungsmodi vor Herausforderungen. Unter in Politikwissenschaft und Soziologie wurzelnden Begriffen wie „governance“ und „regulierte Selbstregulierung“ finden daher zunehmend alternative Steuerungsmechanismen die Aufmerksamkeit auch der Rechtwissenschaft. Diese reagieren in einem globalen, pluralen und durch private Datenmacht gekennzeichneten Wirtschaftsumfeld auf eine wachsende Verschränkung staatlicher und privater Regelsetzung.  

Zugleich empfiehlt sich die „Fairness“ aufgrund ihrer Flexibilität für die Adressierung neuartigen Gefährdungspotentials für den Wettbewerb – eine Generalklausel, die besonders prominent in der seit über 100 Jahren existierenden Formel von den „anständigen Gepflogenheiten in Handel und Gewerbe“ der PVÜ verortet ist. Deren häufige Inbezugnahme in zahlreichen Rechtsakten, jüngst wieder der Richtlinie zur Harmonisierung des Geschäftsgeheimnis­schutzes, steht in bemerkenswertem Kontrast zu ihrer weitgehenden Bedeutungsdiskreditierung seitens moderner Auslegungsansätze.

Ist nun aber die Datenwirtschaft maßgeblich selbstregulativ geprägt und die moderne Steuerungs­theorie zugleich um Implementierung gemeinwohlorientierter Legitimitätsparameter in die private Standardsetzung bemüht, so stellt sich die Forschungsfrage: Könnte eine moderne Re-Konzeptualisierung des altertümlichen Begriffs der „Anständigkeit“ als Interaktionsparameter mit solchen nicht-staatlichen Normen, etwa bereichs­spezifischen „business ethics“, statthaft sein, die eine Kompatibilität mit wettbewerbsfunktionalen Schutzzwecken verbürgen? In einem weiteren Schritt bedarf es der Ausarbeitung eines kohärenten dogmatischen Konzeptes für ein solches Verständnis. Ziel ist, sowohl dem Wechselspiel von Recht und Gesellschaft als auch demjenigen konkurrierender Auslegungsmodi wertungsoffener Tatbestände adäquat Rechnung zu tragen.

Persons

Doctoral Student

Stefan Scheuerer

Main Areas of Research

I.4 Fairness als Rechtsprinzip