Verschiedenes  |  22.02.2021

International Law Association verabschiedet “Kyoto Guidelines”

Eine Forschungsgruppe der International Law Association (ILA) hat unter Mitwirkung von Max-Planck-Forschern umfassende Guidelines für das Zusammenspiel von geistigem Eigentum und internationalem Privatrecht erarbeitet. Mit den “Kyoto Guidelines” liegt erstmals ein Modellgesetz vor, das von Fachleuten aus der ganzen Welt gemeinsam entwickelt wurde.

Die Forschungsgruppe, die die “Kyoto Guidelines” entwickelt hat, bei einem Treffen in Genf im Jahr 2015, Foto: ILA

Trotz zunehmender internationaler und europäischer Harmonisierung unterliegt die Ausgestaltung der IP-Schutzsysteme nach wie vor dem Recht einzelner Staaten. Das international anerkannte Territorialitätsprinzip beschränkt den Anwendungsbereich des Rechts grundsätzlich auf das Territorium des rechtsetzenden Staates. Dies gilt auch für Fälle, in denen es um Fragen des geistigen Eigentums geht.


Die zunehmende Verflechtung der Weltwirtschaft und die potentiell globale Wirkung, die selbst einfachste Handlungen durch das Internet entfalten können, stellen die bestehenden kollisionsrechtlichen Systeme bereits seit Längerem in Frage. Diese Situation hat insbesondere zu Beginn des Jahrtausends namhafte wissenschaftliche Initiativen hervorgebracht, die es sich zum Ziel setzten, angemessene Lösungskonzepte zu entwickeln und eine internationale Angleichung der Systeme zu erreichen. So wurden unter der Leitung des heutigen Max-Planck-Instituts für Innovation und Wettbewerb und des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Privatrecht die “CLIP Principles for Conflict of Laws in Intellectual Property” (2011) entwickelt, die weltweite Resonanz erfahren haben.


Obwohl all jene Projekte von Beginn an auf internationale Kollaboration setzten, blieben sie regionalen Denkansätzen verbunden (USA, Europa, Asien) und kamen zu unterschiedlichen Ergebnissen. Ein Unterschied lag etwa im Umgang mit der besonders kontroversen Frage der originären Rechtsinhaberschaft. Schließlich beinhaltet keines der Projekte umfassende Lösungsansätze für alle Fragen des geistigen Eigentums.


Internationale Forschungsgruppe entwickelt umfassende Guidelines


Um diese Lücken zu füllen, gründete die International Law Association im Jahr 2010 das “Committee on Intellectual Property and Private International Law”. Im Rahmen der Forschungsgruppe, der mit Josef Drexl auch der Geschäftsführende Direktor des Instituts angehört, entwickelten etwa 30 Expertinnen und Experten aus aller Welt die sogenannten Kyoto Guidelines. Das Regelwerk wurde bei der 79. Biennale der ILA im Dezember 2020 verabschiedet und umfasst 35 Mustervorschriften. Gegenstand der Guidelines sind neben Fragen des anwendbaren materiellen Rechts auch die internationale Zuständigkeit der Gerichte sowie die Rechtsdurchsetzung. Die Guidelines erfassen nicht nur klassische Immaterialgüterrechte wie das Urheber-, Patent- und Markenrecht, sondern erstrecken sich auch auf verwandte Bereiche, wie das Lauterkeitsrecht und den Schutz von Geschäftsgeheimnissen. Der finale Text ist in vier Abschnitte untergliedert: Allgemeine Bestimmungen (Guidelines 1-2), Gerichtsbarkeit (3-18), Anzuwendendes Recht (19-31) sowie Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen (32-35).


Ziel der Kyoto Guidelines ist es, nationalen Gesetzgebern konkrete Vorschläge zur Ausgestaltung ihres Kollisionsrechts in Fragen des geistigen Eigentums zu unterbreiten, um langfristig ein inhaltlich ausgewogenes und international abgestimmtes System zu erreichen. Die Guidelines können bereits jetzt von der Rechtsprechung als Interpretationshilfen herangezogen werden, wenn ihr nationales System hierfür offen ist. Neben bekannten und bereits vielfach diskutierten Fragen an der Schnittstelle von geistigem Eigentum und internationalem Privatrecht wie der Bestimmung der originären Rechtsinhaberschaft sowie einer parallelen Rechtsverletzung in einer Vielzahl von Staaten, greifen die Guidelines auch neue Phänomene, wie die grenzübergreifende kollektive Rechtewahrnehmung, auf.


Kollisionsrecht für Verwertungsgesellschaften


Obwohl die grenzübergreifende Tätigkeit von Verwertungsgesellschaften zunehmend an Bedeutung gewinnt, wurde die Frage nach einem Kollisionsrecht für Verwertungsgesellschaften bislang kaum diskutiert. Allein das Institut wies im Jahr 2015 im Zuge der Umsetzung der EU-Richtlinie über die kollektive Wahrnehmung von Urheber- und verwandten Schutzrechten (Richtlinie 2014/26/EU) auf ungelöste Probleme des internationalen Privatrechts hin und entwickelte damals Prinzipien, die nun Eingang in die Kyoto Guidelines fanden.


Die Kyoto Guidelines wurden Ende vergangenen Jahres von der ILA angenommen. Der 5. Ausschussbericht des Komitees enthält bereits grundlegende Erläuterungen zum besseren Verständnis der einzelnen Vorschläge, die frei zugänglich sind. Die Veröffentlichung der Guidelines mit einer ausführlichen Kommentierung in Buchform soll noch im laufenden Jahr erfolgen.


Den Originaltext der Kyoto Guidelines finden Sie hier.