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Dissertation
Immaterialgüter- und Wettbewerbsrecht

Social Scoring durch Staaten. Legitimität nach europäischem Recht – mit Verweisen auf China

Der Begriff „staatliches Social Scoring“ fällt zumeist einzig in Verbindung mit dem chinesischen Sozialkreditsystem. Bei einer realitätsbezogenen Definition existiert staatliches Social Scoring aber auch in Europa. Es könnten Änderungen im europäischen Recht erforderlich sein, um hiermit umzugehen.

Letzte Änderung: 13.05.22

Die geläufige Vorstellung bezüglich staatlichem Social Scoring beschreibt ein System, worin jeder Mensch einen Score erhält, der sein ganzes Leben beeinflusst. Ein Überwachungssystem zeichnet jedes Verhalten auf und lässt es in die Scores einfließen. Gleichförmigkeit und Freiheitsbeschränkungen sind die Folge. Ein solches Scoring-System existiert bislang aber auch in China nicht. Diese Arbeit verwendet den Begriff daher als Zusammenfassung bestehender Systeme, die wie eine Vorstufe dazu wirken können. Hiernach ist staatliches Social Scoring ein datenbasiertes Instrument zur Unterstützung staatlicher Entscheidungen, die sich auf natürliche Personen beziehen. Je mehr Daten aus verschiedenen Bereichen zusammenkommen und je weiter die Daten von der zu entscheidenden Sache entfernt sind, desto eher liegt Social Scoring vor.

Derartige Systeme verbreiten sich zunehmend. Sie haben erhebliche individuelle und gesellschaftliche Auswirkungen. Es stellt sich die Frage, welche Maßnahmen in der EU zu treffen sind, um die problematischen Formen zu begrenzen. Wegweisend ist dabei die Frage nach der rechtlichen Legitimität, also der Beurteilung, ob und unter welchen Bedingungen staatliches Social Scoring rechtmäßig sein soll. Hierfür sind wiederum die Grundrechte und Grundprinzipien der EU die geeigneten Maßstäbe. Sie ermöglichen die Formulierung konkreter Anforderungen für eine einfachgesetzliche Ausgestaltung.

Die Arbeit beginnt mit einem Blick auf China, um verbreitete verzerrte Vorstellungen zu korrigieren. Das Sozialkreditsystem ist komplex. Seine verfassungsrechtlich problematischsten Aspekte bestehen dabei weitgehend unabhängig vom Scoring. Besonders invasive Formen des Scorings wurden infolge öffentlicher Proteste entschärft und sind inzwischen wenig relevant.

Invasive Systeme bestanden und bestehen dagegen auch in der EU, so etwa im Bereich der Sicherheit und Sozialhilfe. Es folgt daher eine Darstellung der europäischen Beispiele.

Auf der Grundlage der bisherigen Erkenntnisse entwickelt die Arbeit eine realitätsnahe Definition staatlichen Social Scorings. Es folgt eine Analyse seiner verhaltenssteuernden Potenziale, seiner Vorteile und Probleme.

Hieran schließt sich die Herausbildung der verfassungsrechtlichen Anforderungen an, zentral sind die Geeignetheit, die Bestimmtheit, das Demokratieprinzip, die Menschenwürde und die Nichtdiskriminierung.

Einfachgesetzlich leitet die europäische Datenschutz-Grundverordnung staatliches Social Scoring bereits zum Teil in eine verfassungsgemäße Richtung. Außerhalb der Ebene der Datenverarbeitung enthält sie aber nur wenige Anhaltspunkte.

Interessante rechtliche Ansätze in China sind vereinzelt vorhanden, ein klassischer Rechtsvergleich bietet sich jedoch nicht an.

Die Arbeit schließt auf Grundlage aller gesammelten Erkenntnisse mit Vorschlägen für den Umgang mit staatlichem Social Scoring in der EU. Sie sollen die Lücken füllen, die das Datenschutzrecht mit Blick auf die verfassungsrechtlichen Anforderungen hinterlassen hat.

Personen

Doktorand/in

Anja Geller

Betreuung

Prof. Dr. Michèle Finck

Forschungsschwerpunkte

II.3 Vernetzte Datenwirtschaft